Otto Dill: Die Kuh von hinten

von Wolfgang Fallot-Burghardt

Der Dürkheimer Maler Otto Dill (1884–1957), Ehrenbürger unserer Stadt und hier mit seiner Frau in einem Ehrengrab mit einer von vier Pferdeköpfen getragenen Grabplatte bestattet, liebevoll auch »Löwen-« oder »Pferde-Dill« genannt, war nach dem großartigen Max Slevogt der zweitbeste Maler der Pfalz. Wer das irgendwo anders gelesen hat, ist einem Schwindler aufgesessen, über den auch unser großer Humorist Paul Münch schon geschrieben hat[1]:

Wer so e Kees schreibt, is meschugge;
Mer braucht nor sei Bilder anzugucke,
Dann sieht mer glei, so gut kann’s känner als
de Otto Dill aus unsrer scheene Palz.

Der Leser merkt: Der Autor versteht bei Otto Dill keinen Spaß. Meine Verehrung für Otto Dill bekam ich gewissermaßen in die Wiege gelegt: Im Wohnzimmer meines Elternhauses hingen mehrere Ölgemälde des Malers, die mein Vater mit Lichtstrahlern, für die erst umständlich Leitungen unter Putz verlegt werden mussten, einzeln in Szene setzen konnte. An den Erwerb eines Bilds kann ich mich dabei noch gut erinnern: eine weiß-braune Kuh auf der grünen Weide in kleinem Format, von schräg hinten gemalt, mit impressionistisch dickem Farbauftrag und der Jahreszahl 1915. Mein Vater kam eines Tages mit dem Gemälde zur Tür herein, und ich wunderte mich damals nicht wenig über das, wie ich fand, unansehnliche Motiv. Er hatte das Bild in einer Schaufensterauslage in Kaiserslautern gesehen und spontan gekauft, bei Otto Dill muss man eben zuschlagen.

Ich habe dieses Bild, bei dem sich der Karton über die Jahre vier (!) Zentimeter nach oben gewölbt hatte und dadurch Farbe abgeplatzt war, vor ein paar Jahren restaurieren lassen, und übergab es dem Restaurator mit den wenig wertschätzenden Worten: »Dass die Kuh nicht noch das Bein hebt, ist gerade alles!« Dieser hingegen, mit ungefähr tausendmal mehr Ahnung als ich, rief mit glänzenden Augen »Ein früher Dill!« und beglückwünschte mich zu dem Bild, das mir als Erbe zugefallen war. So kann man daneben liegen. Die Restaurierung brachte auch die schönen Farben wieder frisch ans Licht, so dass ich heute sagen kann: Ich bin stolzer Besitzer eines Kuhhinterteils von Otto Dill, und wehe, jemand redet mir schlecht von diesem Bild.

Kühe aus allen Perspektiven waren ein häufiges Motiv von Dill, auch in Webers Standardwerk über Dills Leben und Werk finden sich zwei weitere »Kühe von hinten« aus Dills Frühwerk, ebenso in der Ausstellung in der Brunnenhalle von 1984, so wie sich auch seine anderen Motive des Öfteren wiederholten.

In der Tat kann man die routinierte Bildproduktion im Hause Dill schon fast als fabrikmäßig bezeichnen. Wenn seine Gattin Emmy Dorothea telefonisch eine Bestellung aufnahm, schallte kurz darauf der Ruf hinauf ins Atelier: »Otto, noch e Leeb!« Dieses Wissen verdanke ich dem unvergleichlichen pfälzischen Volkskundler Roland Paul, der – wie kann es anders sein – natürlich auch bei den Dills bestens Bescheid wusste.

Wilhelm Weber, Direktor der Pfalzgalerie von 1965 bis 1978, erzählte die folgende Anekdote über die Eheleute Dill: So sinnierte Dill einmal angesichts seiner Vorliebe für Löwenmotive darüber, ob er in einem früheren Leben ein Löwe gewesen sei. Daraufhin habe seine Frau entgegnet: »Eher ein Kamel!« Auch die hatte Dill schon gemalt. Daraufhin Dill, der auch einem guten Schoppen etwas abgewinnen konnte: »Das kann nicht sein, dafür habe ich zuviel Durst!«

Dill in Atelier
Abb. 1: Otto Dill in seinem Atelier in München (Theodor Hilsdorf, Münchner Stadtmuseum G-57/220.130, CC BY-SA 4.0).

Otto Dill wurde am 4. Juni 1884 in Neustadt als eines von fünf Kindern eines Postbeamten geboren, der bereits 1890 verstarb. Nach einer Kaufmannslehre bei der Neustadter Druckerei Meininger besuchte er von 1908 bis 1914 die Malklasse des Tiermalers Heinrich von Zügel an der Münchner Akademie der schönen Künste. Die Tiermalerei wird sein bevorzugtes Metier. Mit Zügels Klasse verbringt er die Sommermonate in Wörth in der Südpfalz und malt dort Kühe auf der Weide, im Zirkus und im Zoo die ihn zeitlebens faszinierenden Löwen. 1912 stellt er erstmals in München aus und verkauft ein großes Löwengemälde für stolze 800 Mark, damals der Gegenwert von etwa neun Monatsgehältern eines Industriearbeiters.

1914 meldet er sich als Kriegsfreiwilliger zur Kavallerie, wird aber bald wegen Krankheit wieder in die Etappe nach München versetzt und schließlich entlassen. 1916 heiratet er seine ein Jahr jüngere Frau Emmy Dorothea Schleidt aus Worms, die Ehe bleibt kinderlos. Seit 1917 mit eigenem Atelier in München, macht er sich 1924 Hoffnung auf die Nachfolge Zügels an der Münchner Akademie, doch die Tiermalereiklasse wird aufgelöst. Stattdessen verleiht man ihm den Titel eines Professors. Dill bleibt also freischaffender Künstler. Künstlerisch ergiebige Reisen nach Italien, Nordafrika, Frankreich und Spanien folgen. 1930 zieht er zurück nach Neustadt, 1941 nach Bad Dürkheim, wo er 1949 an seinem 65. Geburtstag zum Ehrenbürger der Stadt ernannt wird. Irgendwann in dieser Zeit wird er auch Mitglied der Weinbruderschaft.

Das Leben als freier Künstler ist nicht einfach, nicht immer ist Geld da, und so bezahlt er seine Rechnungen öfters mit Bildern, so bei dem Neustadter Möbelhändler Vetter, aus denen der Grundstock für das dortige Otto-Dill-Museum wird. Im Krieg nehmen Dürkheimer Lebensmittelhändler Grafiken von ihm in Zahlung. 1957 verstirbt er in Bad Dürkheim mit 73 Jahren, seine Frau Emmy Dorothea stirbt zehn Jahre später. Elf Städte und Gemeinden in der Pfalz benennen Straßen nach ihm. Soweit die Vita Dill in aller Kürze.

Zu den bevorzugten Sujets des Impressionisten Dill zählen Pferde, Pferdegespanne, Pferderennen und Polospiele, Kühe, Stierkämpfe, Tiger und vor allem Löwen, aber auch Landschaften und Stadtansichten sowie Wüsten- und Beduinenszenen.

Die künstlerische Einordnung überlassen wir dem Otto-Dill-Museum in Neustadt: »Seine furiose Tiermalerei, seine dramatischen Stierkämpfe, seine Löwenstudien und Pferdeszenen, aber auch die Landschaften, mit ihrer kraftvollen Pinselführung, dem pastosen, impulsiven Farbauftrag und dem sinnlichen Rausch von sattem Rot, intensivem Gelb oder kräftigem Grün vertreten eindeutig expressive Tendenzen. Dill will die starke Bewegung der Tiere einfangen und erfasst in wenigen charakteristischen Zügen ihr Wesen. So entstehen Gemälde wie ›Pferderennen‹ oder die ›Löwenjagd‹ von 1926, in der Dill drei Wildkatzen und Beduinen mit ihren Pferden in einen heftigen Strudel entfesselter Kraft reißt. [. . . ] Im Spätwerk wendet er sich mit atmosphärischen Bildern wieder mehr dem Impressionismus zu.«

Pfererennen
Abb. 2: »Pferderennen« (Auktionshaus Schwab, Mannheim).
Löwenjagd
Abb. 3: »Löwenjagd«, 1926 (aus Wilhelm Weber: »Otto Dill. Leben und Werk«. Neustadt an der Weinstraße, 1992).

Wie es der Zufall wollte, stand 2008, als wir in Bad Dürkheim auf Wohnungssuche waren, das Dillsche Wohnhaus in der Sonnenwendstraße zum Verkauf, das wir auch prompt besichtigten. Der damalige Besitzer hielt offensichtlich nicht viel von den Werken seines Vorgängers, jedenfalls entdeckten wir kein einziges Dill-Bild an den Wänden. Das dank eines Oberlichts lichtdurchflutete Atelier des Künstlers, wo Dill ehemals seinen ausgestopften Löwen staffiert hatte, stand noch hinter dem Wohnhaus am steilen Berghang der Sonnenwende. War bei dem karg möblierten Häuschen mit den weißen Wänden und der hohen Decke damals keine Nutzung ersichtlich, so haben es die heutigen Besitzer in eine fabelhafte Ferienwohnung mit Empore umgebaut, die man auf fewo-direkt.de bewundern (und buchen) kann, und was den Autor besonders erfreut: eine kleine Lithografie von Dill ziert die Wand hinter dem Sofa. Eine solche muss gar nicht teuer sein, Werke von Dill gibt es im Handel von 50 Euro bis zu vielleicht 20.000 Euro zu erwerben. Aber genug der Worte, denn ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

Die Kuh von hinten.
Abb. 4: Und hier ist sie: »Die Kuh von hinten«, Otto Dill, 1915, privat.

Besuchen Sie das sympathische Otto-Dill-Museum in Neustadt am Rande der Altstadt, gestiftet von dem Unternehmer und Mäzen Manfred Vetter, das über 170 Ölgemälde und viele weitere Werke in seinem Bestand hält, von denen allerdings nur ein Teil gezeigt werden kann. Die Öffnungszeiten sind ein wenig speziell, können aber auf der Internetseite des Museums nachgelesen werden. Vielleicht hängt dort auch gerade eine »Kuh von hinten«, aber dann, ich warne Sie, kein schlechtes Wort über einen frühen Dill!

Referenzen:
www.otto-dill-museum.de
Wilhelm Weber: »Otto Dill – Leben und Werk«. Neustadt/Weinstraße, 1992. Meininger. ISBN 3875240952.

[1.] Der Autor hat nur minimal in diesen Vers des Meisters eingegriffen.

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